Hirtenbrief #14

Cave Canem

Später Nachmittag. Florian und Gregor arbeiten am Stall. Ein Anruf von der Polizei: die Herde ist ausgebrochen und steht kurz vor einer Strasse. Vor Ort stellt sich heraus, dass die Schafe offenbar in Panik die Netze zerrissen haben und zur anderen Talseite geflohen sind. Nur das Eingreifen eines Anwohners hat sie daran gehindert, auf die Strasse zu rennen.

Ein Lamm hat sich in den zerrissenen Netzen gefangen. Es ist verletzt, offenbar eine Bisswunde. Florian schleppt es über mehrere hundert Meter den Hang hoch, bringt es in den Stall. Aber trotz tiermedizinischer Versorgung überlebt es die nächste Nacht nicht.

So etwas ist frustrierend, ärgerlich, überflüssig .Manche Schäfer haben den Ruf, unfreundliche Gesellen zu sein, die mit dem Einsatz körperlicher Gewalt nicht lange fackeln. Die Vorgeschichte dazu sind solche wiederholten unerfreulichen Übergriffe. Es ist für den Schäfer ein gleichzeitig trauriges und empörendes Erlebnis , zu sehen, wie ein Tier, das er versorgt und gehegt hat auf diese Weise zu Tode kommt. Ausserdem bedeutet solch ein Vorfall für die Ruhrschäferei, abgesehen von der zusätzlichen Arbeit ,einen Verlust von mehreren hundert Euro für das Schaf und neue Netze.

Wir sind sehr bemüht, im Ballungsraum Ruhrgebiet eine friedliche Koexistenz von Hundehaltern und Schäfern zu ermöglichen. Mit den meisten Hundehaltern funktioniert das auch gut. Sie sind rücksichtsvoll , nehmen ihre Hunde in Sichtweite der Herde an die Leine und laufen nicht quer durch die Herde. Einige wenige verhalten sich völlig starrsinnig, wenn ihr üblicher Spazierweg für einige Tage von Schafen in Beschlag genommen wird .Und manche sind einfach fassungslos, dass ihr Liebling, eine Seele von Hund, plötzlich zum aggressiven Jäger wird, der für kein Rufen mehr erreichbar ist. Für die Schafe kann es dann zu spät sein.

Zwei Wochen später : Ein weiterer Vorfall auf einer anderen Fläche. In der Dunkelheit wird ein Schaf durch einen Hund so in Panik versetzt, dass es sich so heftig zwischen zwei Betonklötze presst, dass es nicht mehr zurückkommt und verendet.

Es wird viel über die Rückkehr der Wölfe diskutiert. Bei uns - wie übrigens insgesamt in Deutschland - sind bisher Hunde in der Herde das deutlich grössere Problem. Durch Aufklärung, sowie kooperatives und umsichtiges Verhalten wäre es sicher beherrschbar. Leider sind bis auf weiteres manche Hundehalter mit den dafür erforderlichen Führungskompetenzen beklagenswert überfordert. Für zu viele Schafe ist das tödlich.

Metropolen für Alle

Der Presse entnehmen wir: Der Trend geht zur Metropole. Jüngst wurde - ausgerechnet in Düsseldorf - und scheinbar als ungenierte Kopie der METROPOLE RUHR die METROPOLENREGION RHEINLAND aus der Taufe gehoben . Von Aachen bis Bonn und von da aus rheinabwärts bis zum schon lange nicht mehr herzoglichen Kleve: nicht mehr wie bisher ein topographisches und siedlungsstrukturelles Sammelsurium von Kraut und Rüben , sondern demnächst eine einzige Metropolregion zu gegenseitigem Nutz und Frommen.

Das mag nun aus der Perspektive von New York, Shanghai oder Singapur für Leute, die diese Gegend auf google earth sonst glatt übersehen hätten, ein echter Hingucker auf dem Aufmerksamkeitsmarkt- auf Messedeutsch eyecatcher - sein: METROPOLEN ! ! REGION ! ! RHEINLAND ! ! In seiner Wirkung allenfalls beeinträchtigt dadurch, dass die Zahl derjenigen, die Metropole! Hier ! schreien inzwischen angeschwollen ist zu einem vielstimmigen Chor , in dem alle Solostimme sein wollen.

Für den Landeskundigen ergeben sich bei näherer Betrachtung jedoch nagende Zweifel. Wird hier nicht gerade der untaugliche Versuch gestartet, uralte und ganz und gar wesensverschiedene Kulturen zu vermischen, die seit langem, und zwar aus gutem Grund, allenfalls in herzlicher Abneigung verbunden waren?

Es geht, um die Sache beim Namen zu nennen, um die sich zutiefst fremden Galaxien von Kölsch, Alt und Pils. Von Aachen mal ganz abgesehen. Was die da trinken, weiss ausser Martin Schulz kein Mensch.

Kann so etwas gutgehen? Oder werden die Menschen hier völlig überfordert? Toleranz - gut und schön. Aber sind hier nicht naive Gutmenschen und Multi - Kulti -Ideologen am Werk, die zusammenbringen wollen, was nun mal nicht zusammengehört?

Haben wir nicht inzwischen gelernt, dass man die Ängste der Menschen ernst nehmen muss, statt sie wie früher zum Arzt zu schicken? Und werden hier nicht leichtfertig uralte Ängste mobilisiert? Schon werden in den sozialen Medien digitale Latrinenparolen verbreitet, wonach Kölsch, Alt und Pils demnächst aus Gründen der political correctness nicht mehr in eigenen Braukesseln, sondern in einem einzigen melting pot zusammengerührt werden sollen. Ein klarer Fall von fake - news, aber in postfaktischen Zeiten brandgefährlich. Kann man ausschliessen, dass am Ende zutiefst verängstigte, in ihrer Identität verunsicherte und komplett besorgte Bürger DSDS - Titan Dieter Bohlen zum Ministerpräsidenten von NRW wählen?

Wir wissen es nicht. Aber niemand kann ausschliessen, dass Huntingtons apoklyptische Prophezeiung vom Zusammenprall der Zivilisationen in den antagonistischen Lebenswelten von Kölsch, Alt und Pils zur schlimmen Wirklichkeit werden kann.

Hinzu kommt eine weitere verstörende Nachricht. Zur Metropolenregion Rheinland gehört auch DUISBURG . DUISBURG ! Stolze Stadt an der RUHRmündung! Für die rheinauf - und rheinabwärtsfahrenden Schiffe Galionsfigur und Vorburg der METROPOLE RUHR!

Beim einfachen Trinkhallenbesucher führt das zu der irritierten Frage: Ja was denn nun? Ruhr oder Rhein? Duisburg , die Stadt mit metropolitanem Doppelpass und den zwei Gesichtern? Vorne: Düsseldorf, die aufgetakelte Schabracke des arbeitslosen Einkommens und der Manschettenknöpfe aus der zwanzigsten Etage, die sich einbilden, sie seien the masters of the Ruhrgebiet . Hinten: Oberhausen, Essen , Bottrop und die anderen Kumpane aus den alten Zeiten ehrlicher Arbeit? Ein abscheuliches Bild. Wer will so etwas?

Wird die Herde der Ruhrschäferei demnächst im Novembernebel umherirren und nicht wissen: Ist das schon die METROPOLENREGION RHEINLAND? Oder Ist das noch die METROPOLE RUHR? Oder sind wir hier im zwielichtigen Zwischenreich von Duisburg, der Grossen Schielenden , die mit schauerlichem Silberblick gleichzeitig die Ruhr und den Rhein hinaufblickt ? Ein janusköpfiges Mischwesen und Trugbild in sich wandelnden Gestalten? Eine schreckliche Vorstellung.

Gut. Die Düsseldorfer Karnevalswagen sind nicht schlecht. Das muss man zugeben.. Aber weder haben wir vergessen noch vergeben, dass der vormalige Düsseldorfer OB unter dem altbierbenebelten Gejohle seiner Wähler zum besten gab, im Ruhrgebiet wolle er noch nicht mal tot überm Zaun hängen.

Unser positiv denkender Gegenvorschlag : Ihn nicht tot, sondern lebendig über den Zaun der Dachterrasse des Gasometers zu hängen. Ohrensausen über Oberhausen - ein Kursangebot der Volkshochschule Oberhausen im Fachbereich Lebenslanges Lernen gegen Tunnelblick und selektive Wahrnehmung. Verhaltenstherapeutisch unterstützt durch ein unvergessliches Panorama in 120 Meter Höhe. Allerdings ist bekannt, dass der Düsseldorfer als quasi erstes Opfer seiner eigenen Blasiertheit diesbezüglich nur zu einer sehr flachen Lernkurve befähigt ist.

Will man wirklich mit solchen Leuten Seite an Seite oder gar in ein und derselben Metropole leben?

Die Wahrheit ist: Man will nicht, aber man muss. Es geht nicht anders. Das Leben ist nicht gerecht und man kann sich seine Nachbarn nicht aussuchen. Und dass man am Niederrhein ungehindert durch Passkontrollen und Wegezölle zwischen Duisburg, Düsseldorf und den anderen Rheinanliegern hin - und auch wieder hergehen kann, ist historisch gesehen ja durchaus ein Fortschritt, Wer wüsste das mehr zu schätzen als die Ruhrschäferei, wenn sie mit ihrer Herde zwischen den Ortschaften hin - und her wandert? Niemand, der noch alle Tassen im Schrank und keine gelben Haare hat, will das ändern.

Ganz im Gegenteil. Längst hat der Trend zur Metropole wie die Vogelgrippe ganz Europa erfasst. Metropolen wohin das Auge blickt. Eine Metropolregion Rhein - Ruhr gehört zum Verbund der Europäischen Metropolregionen in Deutschland. Raumplaner , von denen nicht bekannt ist, was sie geraucht haben, haben bei Betrachtung der Agglomerationen und Handelsströme eine Blaue Banane entdeckt , obwohl das eigentlich ein zweifelhaftes Striptease - Lokal in der Fernsehserie “ Der König von St. Pauli “ war. Danach haben sie das Pentagon nach Europa verlegt und anschliessend noch eine Gelbe Banane gefunden .Neuerdings sehen sie - kein Scherz - ganz Europa als Weintraube, vermutlich nach übermässigem Genuss von ein paar daraus hergestellten guten Tropfen.

Bei diesem Megatrend auf dieser nachgerade globalen Hintergrundkulisse wird die metropolitane Liaison von Duisburg und Düsseldorf zur unentrinnbaren Zwangsheirat. Wir wollen hoffen , dass keine Mesalliance daraus wird. Aber angeblich geriet so manche arrangierte Ehe später sogar zur Liebesbeziehung..

In diesem Sinne also und trotz der hier ja nicht verschwiegenen Bedenken : Von Metropole Ruhr zu Metropolenregion Rheinland : Auf gute Nachbarschaft! Und Glück auf!

P.S. Das ist allerdings noch nicht alles an interurbanen Annäherungsversuchen .Soeben wird gemeldet, dass der RVR ( Regionalverband Ruhr ) auf der Tourismusmesse in BERLIN einen Kooperationsvertrag mit dem Berliner Zentrum Industriekultur abgeschlossen hat. Die haben jetzt nämlich auch eine Route der Industriekultur.

Weil die Hipster mit ihrem supercoolen, angeblich ironisch gemeinten Outfit inzwischen von einem x - beliebigen Strauchdieb nicht mehr zu unterscheiden waren und nachdem jeder hergelaufene Salafist ihre Zauselbärte abgekupfert hatte , hatte Berlin als Alleinstellungsmerkmal eigentlich nur noch den Geisterflughafen Berlin - Brandenburg und die Wildschweine in den oft genug auch vorher schon hässlichen Vorgärten . Da musste was neues her. Und da kamen nun offenbar die aufgeweckten Berliner schon dreissig Jahre nach der Internationalen Bauausstellung Emscherpark auf die Idee, das Thema Industriekultur zu pushen. Dabei sollen wir jetzt helfen.

Nun kann man im Ruhrgebiet nicht gerade eine Tradition hemmungsloser Begeisterung für die schöne Stadt Berlin voraussetzen Die aufrichtige Herzlichkeit des Ruhrgebietsmenschen gegenüber der Hauptstadt drückte sich in den Kriegsjahren bis 1945 angesichts der vom Niederrhein her anfliegenden britischen Bomberverbände in dem zum Himmel gesprochenen Segenswunsch aus:

LIEBER TOMMY FLIEGE WEITER /
WIR SIND ALLE BERGARBEITER /
FLIEGE WEITER NACH BERLIN /
DIE HABEN ALLE JA ! GESCHRIEN.

Für diese nach 1945 nicht verschwundenen , sagen wir mal preussen - skeptischen emotionalen Unterströme erwies sich die neue Hauptstadt nach 1990 mit ihrer wichtigtuerischen Performance schnell als anschlussfähig.

Zum Glück für die Berliner hat der Ruhrgebietsmensch aber keine Vorurteile und ist nicht nachtragend. Duisburg hatte schon 1962, kurz nach dem Krieg in einem heute vergessenen Akt grossmütiger politischer Empathie nicht nur wie andere ein paar Kerzen des ostzonalen Gedenkens ins Fenster gestellt, sondern eine der grössten Strassenbrücken nicht nur Duisburgs, sondern Deutschlands nach der damals geteilten Ost - West - Frontstadt benannt: die BERLINER BRÜCKE , die die Ruhr, den Rhein - Herne - Kanal und mehrere Hafenbecken überspannt.

Eine liebevoll vergoldete DUISBURGSÄULE oder einen DUISBURGER PRACHTBOULEVARD .als kleines Dankeschön für Unterstützung in schwerer Zeit wird man allerdings in ganz Berlin vergebens suchen.

Trotz alledem - so ist der Ruhrgebietsmensch : Wer Hilfe braucht, der wird geholfen - selbst wenn es ein Berliner ist.

Und nicht nur beim Thema Industriekultur. Was das peinliche Ewigkeitsprojekt Flughafenbau BER angeht - wenn wir das hier unter uns mal ansprechen dürfen: Gegen eine geringe Schutzgebühr wäre die Emschergenossenschaft, die das gigantische, zeitweise europaweit grösste Infrastrukturprojekt Emscherumbau demnächst fristgerecht abschliessen wird, möglicherweise bereit, ein paar Tips zu geben, wie man ein 4,5 - Milliarden - Bauwerk sowohl unter Einhaltung des Budget - , als auch des Zeitplans fertigstellt.

Im Ruhrgebiet kann man sowas nämlich.

Ziegen und Kitze

Ein diesiger Tag. Seit Stunden ein unsympathischer Nieselregen. Vanilla, eine weisse Ziege mit leicht bräunlichem Schimmer im Fell. entfernt sich entlang einer Brombeerhecke, unentwegt Blätter zupfend, langsam von der Herde . Ayla lässt , die Ohren leicht hochgekippt, aus fünfzig Metern Entfernung die Schafe samt Vanilla nicht aus dem Blick. An einem bestimmten, von ihr definierten Punkt startet sie selbständig in einem Bogen durch und scheucht die Ziege zurück zur Herde.

Dieses Manöver wiederholt sich dreimal. Dann bricht die Herde auf. Ein paar Kilometer weiter zu einer neuen Fläche. Auch hier schlendert Vanilla, Brombeerblätter zupfend, weiter und weiter von der Herde weg .Offenbar sucht sie einen ruhigen Platz abseits der Schafe. Offenbar steht sie kurz vor der Geburt.

Florian fängt sie ein , packt sie in den Hänger und verschliesst die Plane. Nach fünf Minuten hört man ein meckerndes Geräusch aus dem Hänger, etwas kürzer, abgehackter als sonst. Als Florian nachsieht, liegt ein frischgeborenes Ziegenkitz im Wagen, das von der Mutter abgeleckt wird.. Eine ausgesprochen zügige Geburt. Nachdem die Herde versorgt ist, werden die Ziegen zum Stall gebracht in eine gut vorbereitete Mutter - Kind - Bucht.

Am nächsten Tag - immer noch ein sanfter Dauerregen - , packt Florian mittags die beiden anderen tragenden Ziegen in den Hänger. Wieder nach einigen Minuten das meckernde Geräusch. Beindruckend die Reaktion der Herde: Aufmerksam, leise scharen sie sich langsam mit erhobenem Kopf um den Hänger. Allen scheint klar zu sein, dass etwas besonderes vor sich geht. Eine fast andächtige Stimmung. Als Florian nachsieht, liegen zwei Kitze im Wagen, später kommt noch ein drittes dazu. Eine Premiere: Gestern und heute hat die Ruhrschäferei zum ersten Mal neugeborene Ziegen.

Nach kurzer Zeit zeigt sich im Stall ,dass hier eine neue Art von Kindergruppe eingezogen ist. Die Lämmer sind munter , lebendig und spielen Fangen, aber die kleinen Ziegen gehen über ( Futter) - Tisch und Bänke. Beliebtestes Spiel: einem Schaf auf den Rücken springen , ihm ein paar Heureste zwischen den Ohren wegzupfen, und dann auf den nächsten drei Schafen herumturnen. Es wird nicht ganz klar, was die Schafe von diesem artfremden Schabernack halten, aber sie lassen es geduldig über sich ergehen. Ihr Gesicht signalisiert: Nervt ein bisschen aber: The kids are allright.

Wanderer und Siedler. Ein Wort zur Fastenzeit im Zeitalter der Globalisierung

Es gibt Geschichten, deren Anfänge in graue Vorzeit zurückreichen und die noch immer nicht zu Ende sind. Sie sind offenbar Bestandteil von dem, was bleibt., solange wir bleiben. Dazu gehört die Geschichte von Kain und Abel, dem Urkonflikt zwischen nomadischen Hirten und ackerbauenden Siedlern.

Sowohl die Bibel als auch der Koran erzählen vom Ackerbauern Kain, der seinen Bruder Abel, den Viehhirten erschlägt. Der Übergang vom umherschweifenden Leben als Sammler , Jäger und später als Hirte zum Bauern, der auf eigenem Grund die Früchte des Feldes sät und erntet ist die Mutter aller Revolutionen auf dem Weg zu unserer Welt. Sowohl die einsetzende Bevölkerungszunahme, als auch die ersten Funde von Massengräbern mit erschlagenen Familien und Dorfgemeinschaften stehen in einem dramatischen Zusammenhang mit der Sesshaftwerdung des Menschen. Bis heute ist dieses Drama nicht zu Ende.

Oft verbirgt sich dieser Konflikt um den Besitz von Ressourcen hinter einer Maskerade von religiösen, kulturellen , später auch politischen Überformungen.

Die Bibel schreibt, dass Kains Zorn sich daran entzündete, dass sein Opfer Gott weniger gefällig war. Ein Eifersuchtskonflikt also um die Zuwendung eines nachtragenden Gottes. Der unter unseren Augen zugelassene Genozid in Ruanda fand zwischen Viehhirten und Bauern statt, deren konfliktauslösende Identität konstruiert worden war durch koloniale Herrschaftsinteressen und postkoloniale Volksverhetzung Der aktuelle Konflikt um knapper werdenden Boden in der nigerianischen Provinz Kadura mit Massakern zwischen halbnomadischen Viehhirten und sesshaften Bauern ist gerade dabei, zu einem Religionskrieg zu eskalieren, weil die Viehhirten Muslime und die Bauern Christen sind .

Und zahllos sind die Konflikte mit nomadischen Hirtenkulturen in Afrika, im Vorderen Orient und in Zentralasien seit der Gründung von kolonialen und postkolonialen Nationalstaaten mit z.T. willkürlich gezogenen Grenzen. Die wandernden Verbände widersetzten sich den am Schreibtisch mit dem Lineal gezogenen Territorien und ignorierten sie als für sie ideologische Hirngespinste . Die Vorstellung von Grenzen, Zäunen, privatem Grundeigentum, Pässen und Staatsangehörigkeit waren ihnen fremd. Die jahreszeitlich bedingten Wanderungen ihrer Herden und damit ihre Lebensgrundlagen hingen von klimatischen und geographischen Realitäten ab, nicht von nationalstaatlichen Fiktionen..Sie waren insofern aufgrund ihrer traditionellen Werte und Lebensweisen geborene Staatsfeinde .Als solche wurden sie auch vielfach behandelt, wenn mit Pädagogik, Umsiedlung und Gewalt versucht wurde, ihnen das nomadische Leben auszutreiben. Die alte Geschichte von Kain und Abel auf der erweiterten Stufenleiter des Nationalstaats.

Für unsresgleichen ist es seit jeher eine fraglose Selbstverständlichkeit, dass der homo sapiens sich zwar in seiner unbeständigen Kinder - und Jugendzeit in einer Jahrhunderttausende dauernden Wanderzeit out of Africa über den Planeten ausgebreitet hat.. Nun aber, erwachsen geworden, hat die Menschheit diese primitive Lebensweise überwunden und zu dem eigentlichen, kulturell überlegenen , menschlichen Normalzustand der Sesshaftigkeit gefunden.. .

Dieses Bild ist eher eine hübsche Biedermeierfantasie als ein Abbild der Wirklichkeit. Es stimmt weder für die Gegenwart noch für die Vergangenheit . Wenn man sich die Geschichte ansieht: auf weiten Strecken ein perpetuum mobile von Chaos und Durcheinander Das Wort, das im 1. Buch Moses dafür benutzt wird, heisst Tohuwabohu - wüst und wirr - und der beschriebene Zustand scheint den Schöpfungsakt der Genesis überdauert zu haben. Auf allen Kontinenten verschwundene Kulturen, untergegangene Imperien, Grossreiche, von denen nur die Steppe blieb und Steinzeitgesellschaften, die der Sand oder das Meer begraben haben. Der Eindruck drängt sich auf, dass Sesshaftigkeit eher der Ausnahmezustand in einer endlosen globalen Wanderungsbewegung ist. Getrieben wurde sie ausser von der Suche nach immer neuen Überlebensmöglichkeiten für den Menschen, diesen neugierigsten aller Primaten, durch die immer neue Flucht vor Umweltveränderungen und -katastrophen, vor Eiszeiten und Gletschern, vor Überschwemmungen, von denen die Sintflut nur eine von Millionen war , Vulkanausbrüche, Dürreperioden mit Durst und Hunger oder Epidemien . Und was das menschengemachte Unheil angeht (das, um gerecht zu bleiben, bei allem Grauen auf längere Sicht hinter den Verwüstungen durch die Natur zurückbleibt ) war es seit biblischen Zeiten die Flucht vor Unterdrückung, Kriegen, Eroberungen, Plünderungen und Vertreibungen. Gross ist im Märchen das Lob des Königs, dessen Herrschaft dem Land Frieden und Sicherheit gebracht hat. Daraus folgt: Die Regel war das nicht.

Das alles findet heute zumeist nicht mehr bei uns statt. Aber die Tagesschau mit ihren Bildern von zerbombten Dörfern und verdursteten Vieherden in zentralafrikanischen Wüsten und die, global gesehen, wenigen Flüchtlinge, die es bis zu uns geschafft haben, hindern uns täglich aufs neue an der komfortablen Vorstellung, dass diese Zeit der Wirrnis vorbei ist.

In der Bibel nimmt die Geschichte von Kain, dem sesshaften Ackerbauern und Abel, dem wandernden Hirten, ein denkwürdiges Ende. Kain wird bekanntlich von Gott gefragt: Wo ist dein Bruder Abel? Und Kain antwortet mit dem verhängnisvollen, aber hochaktuellen Satz: Bin ich der Hüter meines Bruders?

Die gnadenlose göttliche Antwort darauf ist: Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden Der Boden, den du bestellst, wird dir keinen Ertrag mehr bringen. Du bist verflucht. Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein.

Spätere jüdische und christliche Schriften sprechen vom wandernden Volk Gottes, das über die Erde zieht auf der Suche nach Erlösung und einem Ziel, das seine Hoffnungen erfüllt.

Dass es sich bei diesem Ziel letzten Endes um ein Reiheneigenheim mit interaktivem Kühlschrank samt Mittelklassewagen mit Einparkhilfe handelt ist bisher nicht wirklich gesichert. Zu vermuten ist: Da kommt noch was.

Zunächst allerdings mal das Osterfest. Um es mit Mutter Courage zu sagen:

Das Frühjahr kommt /
Wach auf du Christ /
Der Schnee schmilzt weg /
Die Toten ruhn /
Und was noch nicht gestorben ist /
das macht sich auf die Socken nun.

Der feindliche Winter ist vorbei. Das Gras wächst wieder und die Herde findet frisches Weideland. Viele neue Lämmer sind in den letzten Monaten geboren. Vor uns liegt ein neuer Sommer. Freuen wir uns darauf.

Euch allen alles Gute von

Florian und dem Team der Ruhrschäferei

Kategorie: 

Aktualisiert: 09.08.2017 18:45:27