25.08.2018
Schlechtgelaunte, aber aufrichtige Verwünschung von Eierdieben, lichtscheuem Gesindel, Nacht-und-Nebel-Räubern, besorgten Bürgern, digitalen Marktschreiern sowie sonstigem freilaufenden Gelichter, das den Schäfern das Leben schwer macht
Als Florian morgens zur Herde kommt, muss er feststellen, dass die Kiste mit dem Weidezaungerät, das die Taktung der Elektronetze regelt samt LKW-Batterie und dem abgeschlossenen Fahrradanhänger, auf dem das Ganze transportiert wird, damit dem Schäfer bei der Tragerei nicht das Kreuz bricht, komplett geklaut ist. Schaden ca. 600 Euro.
Manchmal kommt man ins Grübeln, ob nicht eine bedarfsgerechte Anwendung der Scharia das heimische Rechtsystem bereichern könnte, vorausgesetzt man hat die Lumpen. Und schon im Alten Testament, Buch Ezechiel, Kapitel 5, Vers 7 oder davor oder danach steht: Wer im Gebirge von Hebron oder in einem der Täler Kanaans einem Schafhirten sein Weidezaungerät und seine Batterie stiehlt, soll das Weidezaungerät samt Batterie, aber ohne Fahrradanhänger drei Tage und drei Nächte um die Herde herumtragen müssen und anschliessend in eine Schlangengrube geworfen werden. Vergleichbares gilt für sogenannte besorgte Bürger, deren Besorgnis nur von ihrer Ahnungslosigkeit übertroffen wird sowie von ihrem Bedürfnis, anonym zu bleiben. In Verbindung mit sogenannten Journalisten, die an Wirklichkeit komplett desinteressiert sind, aber umso mehr an Pseudosensationen, mit denen sich im Geschäftsbereich blinder Alarm die Werbeeinahmen steigern lassen, lässt sich im Hirnumdrehen ein Medienspektakel veranstalten, das den ganzen Hühnerhof in helle Aufregung versetzt. Dass die ganze Nummer am Ende ausgeht wie das Hornberger Schießen tut der Veranstaltung keinen Abbruch, weil es den Schäfer zwar viel Arbeit gekostet hat, den zusammenphantasierten Unsinn aus der Welt zu räumen, aber das lokale Medienportal seine Klickzahlen im Sack hat.
Und von Leuten, die im Zustand von schmerzfreier, aber vermutlich unheilbarer Unterbelichtung die Elektronetze öffnen oder zerschneiden und leider auch von mit beklagenswerter Arglosigkeit geschlagenen Menschen, deren freilaufender Hund in die Herde eindringt und die Schafe in Panik aus dem Pferch jagt, was er vorher noch nie getan hat, weil er vorher nämlich noch nie eine Schafherde gesehen hat, wollen wir gar nicht weiter reden. Insofern ist ein Rudel Wölfe vorläufig unser geringeres Problem.
Deutschland - Land ohne Schäfer? Über Hektar-Zahlungsansprüche und Weidetierprämie oder: Was ist uns die Lüneburger Heide wert?
Heute, liebe Leser, müssen wir uns ein wenig mit schnöder tagesaktueller Agrarpolitik befassen. Die Lage der Schäfereien zwingt uns zu dieser nur scheinbar abstrakten und wenig erfreulichen Betrachtung.
Ungewohnte Bilder erreichen uns aus Berlin und den Landeshauptstädten: Demonstrationen von Schäfern vor den Ministerien und Parlamenten, die mit Schafen und Hunden den Erhalt der nur noch 1.000 Schäfereien in Deutschland fordern.
Warum machen die das?
Keine politische Sonntagsrede zum Thema nachhaltige Landwirtschaft kommt aus ohne die Stichworte: Erhalt der pflanzlichen und tierischen Artenvielfalt, ressourcenschonende regionale Lebensmittelherstellung, artgerechte Tierhaltung, Gewässer- und Grundwasserschutz, Pflege der heimischen Kulturlandschaft und was dergleichen ganz und gar richtige Beschwörungsfloskeln mehr sind.
Die Wasserwerke erklären seit Jahren, dass Wasser nicht nur zunehmend giftig wird, sondern, wenn es so weitergeht, auch sehr teuer und das nicht nur weil die EU Deutschland inzwischen wegen Untätigkeit beim Wasserschutz verklagt hat.
Schon vor Jahrzehnten wurden in „Der stumme Frühling“ Agrarlandschaften beklagt, in der kein Vogel mehr singt. Und das Wort Insektensterben, das früher allenfalls ein paar nerdige Käfersammler kannten, schafft es neuerdings in die Tagesschau.
Um uns herum findet eine Flurbereinigung mit bislang unbekannten Kollateralschäden statt.
Schadensbegrenzung tut Not. Das ist inzwischen offensichtlich für jeden, der nicht als einschlägiger Lobbyist unterwegs ist oder der in der Zwangsjacke des „Wachsen oder Weichen“ nur Vorschläge bekommt, die er nicht ablehnen kann.
Was auffällt: Vieles von dem, was zur Verbesserung der Lage dringend getan werden müsste, ist gute Alltagspraxis der Schäfer seit eh und jeh.
Unterstützende politisch-finanzielle Konsequenzen ergeben sich daraus in Deutschland allerdings nicht. Deutsche Landwirtschaftspolitik setzt seit Jahrzehnten auf den Markt - und zwar auf den Weltmarkt.
Qualitative Unterschiede zwischen einer Wanderschäferei und den maximal gespritzten Maisfeldern in der Lieferkette einer Schweinefabrik von Schalke-Präsident Tönnies kennt diese Strategie vom Grundsatz her nicht. Das ist schlecht für die Schäfer, schlecht fürs Klima und auf Dauer sogar schlecht für die Schweinezüchter, weil Herr Tönnies - nichts gegen Schalke 04 - seine Schweinefabriken inzwischen auch in Sibirien baut, wo es noch größer, noch billiger und noch gewissenloser geht. Die Förderung der Landwirtschaft erfolgt europaweit über Zahlungsansprüche auf bewirtschaftete Hektar. Wenig Hektar - wenig Geld / viel Hektar viel Geld.
Klammer auf: Zum oft und gerne kritisierten Umfang des gemeinsamen europäischen Agraretats muss man gerechterweise sagen, dass der scheinbar hohe Anteil der Agrarförderung am EU-Etat sich dadurch ergibt, dass es für andere Politikbereiche - z.B. Sozialausgaben oder Militär einen EU-Etat nicht gibt, sondern im wesentlichen nur nationale Haushalte, weswegen sie im EU-Haushalt schlicht nicht auftauchen. Wenn U-Boote, Abfangjäger oder Dienstwagensubventionierung von Premiummarken über den Brüsseler Etat liefen, wären die Agrarausgaben unauffälliger. Das Problem ist nicht der Umfang des Etats, sondern die fehlenden ökologischen Standards. Klammer zu.
In der Landwirtschaft soll - und das ist insbesondere Credo der deutschen Agrarpolitik - der Markt entscheiden. Der Markt gibt allerdings, wie man neuerdings weiß, oft die falschen Signale. Er ist zwar ein guter Maßstab für das Wie viel - nämlich so viel, wie sich verkaufen lässt -, aber ein schlechter Maßstab für das Wie - außer, Möglichst billig. Öffentliche Güter wie eine artenreiche Natur, Hochwasserschutz, saubere Luft, oder Landschaftspflege sind aber, wie, amerikanische Wissenschaftler jetzt überraschend festgestellt haben, dem Markt komplett egal. Es sei denn, er bekommt politisch gesetzte Leitplanken, die ihm bei der Orientierung helfen.
Die vielfach geschmähte EU räumt sehr wohl über die gängige, der Art der Produktion gegenüber gleichgültige Hektarförderung hinaus die Möglichkeit ein, besonders erhaltenswerte landwirtschaftliche Bereiche finanziell zu fördern. 22 EU- Länder machen davon Gebrauch und unterstützen durch besondere Zahlungen die extensive Weidetierhaltung.
Deutschland dagegen tut das im Gegensatz zur großen Mehrheit der EU-Staaten nicht. Hierzulande herrscht, um das kurz und unfreundlich zu sagen, agrarpolitisch überwiegend immer noch ein ökologisch prinzipiell ignoranter marktfundamentalistischer Starrsinn. Ideologie statt Ökologie.
Die Nutzung der in der EU-Agrarordnung für qualitative Förderung vorgesehene sogenannten Säule 2, die u.a. für Schäfer mit und ohne Hektarprämie eine Unterstützung sein könnte, bleibt deswegen hierzulande bislang weit unter ihren Möglichkeiten.
Rückblick
Es gab eine Zeit, da konnten die Schäfer von der Produktion von Fleisch, Fellen, Wolle, Milch und Käse leben. Und nebenher lieferten sie kostenlos öffentliche Güter wie die Erhaltung von Artenvielfalt durch Beweidung und die Verbreitung von Pflanzensamen und Insekten im Fell der wandernden Herden.
Sie trugen zur Hochwassersicherheit durch Festigung der Deiche bei, weil die Schafe mit ihrem Goldenen Tritt die Gänge von Wühlmäusen festtraten und durch das Kurzhalten der Vegetation Raubvögeln ermöglichten, deichgefährdende Nager wegzufangen. Außerdem verhinderten sie den bei Hochwasser gefährlichen Baumbewuchs der Deiche.
Sie trugen im Rahmen des alpinen Beweidungssystems zum Lawinenschutz bei. Und sie schufen nicht zuletzt Kulturlandschaften wie die Lüneburger Heide oder die Schwäbische Alb, die mit ihrem besonderen Erscheinungsbild als Landschaft, die wir lieben, seit langem die Basis für die ökonomisch bedeutsame touristische Nutzung dieser Regionen sind.
Von ihrer Urproduktion allein können die Schäfer zurzeit nicht mehr leben. Die Gesellschaft muss deswegen entscheiden, was ihr die von den Schäfern bisher als Kollateralnutzen kostenlos gelieferten öffentlichen Güter wert sind. Lobende Worte haben die Schäfer landauf, landab oft gehört. Das schätzen wir nicht gering. Aber jetzt geht es um Geld.
Gemessen am Umfang des Agrarhaushalts um lächerlich wenig Geld. Es steht nicht zu befürchten, dass dadurch der Niedergang der heimischen Agrarindustrie eingeläutet würde. Auch Arbeitsplätze könnten dabei im genannten Sektor kaum verloren gehen, weil es im Vergleich zu herkömmlicher Landwirtschaft kaum welche gibt.
Die Zeit drängt. Tunlichst muss die Frage entschieden werden, solange es die Schäfer noch gibt.
Nachbemerkung
Am 29.6 2018 hat das Parlament nicht ganz unerwartet mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP mehrheitlich gegen einen gemeinsamen Antrag von Linksfraktion und Grünen auf Einführung einer bürokratisch unkomplizierten und kurzfristig wirksamen Weidetierprämie für Schafe und Ziegen gestimmt. Hauptsächliche Begründung: Mit dem Prinzip der von der Produktion entkoppelten Hektarförderung sei ehedem das mehr als leidige Problem von Butterbergen und Milchseen gelöst worden. Und ein derartiges Desaster wolle ja wohl niemand noch einmal heraufbeschwören.
Eine Sternstunde politischer Weitsicht und vorbeugender Gefahrenabwehr. Mit der Ablehnung einer Weidetierprämie konnte durch blitzgescheite Abgeordnete im letzten Augenblick verhindert werden, dass Deutschland - um bei der Analogie des Milchsees zu bleiben - quasi ertrinkt in einem Blütenmeer von Wiesenblumen auf artenreichen Magerrasenflächen. Man stelle sich vor: Überall Schlüsselblumen und Erika! Und das Land durch extensive Weidehaltung ächzend unter einer untragbaren Überlast an artgerechter Tierhaltung. Oder wie?
Wann gibt es eine Obergrenze für die vorsätzliche Irreführung einer offensichtlich für blöd gehaltenen Wählerschaft?
Heißzeit
Die Herde der Ruhrschäferei steht mit Blick auf das Gipfelkreuz der Halde Prosper-Haniel auf der Sterkrader Heide. Mehrere Hektar gelber, trockener Halme, die die Beine der Schafe verdecken. Es hat seit Monaten wenig bis gar nicht geregnet. Der Wetterbericht wiederholt Meldungen von Trockenheits- und Hitzerekorden seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Reinersbach, ohnehin im Sommer nur ein schmales Rinnsal, ist schon jetzt bis auf einige Pfützen fast verschwunden.
Die Fläche, auf der die Herde steht, sieht aus, wie eine afrikanische Savanne in der Trockenzeit. Verbranntes Gras, trocken wie Stroh. Noch ein paar Tage finden die Schafe am Boden zwischen den getrockneten Büscheln ein wenig nahrhaftere Halme und Kräuter, aber es ist klar: Unser Weideplan für dieses Jahr ist Makulatur. Natürlich wussten wir: Die Wüsten auf der Erde wachsen. Das beobachten wir seit Jahren im Farbfernsehen - aber beruhigend weit weg. Manchmal auf pittoresken Bildern von in der Sonne schimmernden Dünenkämmen oder von verlassenen spanischen Dörfern, die wegen Wassermangel aufgegeben wurden . Manchmal auf Bildern, bei denen einen der Jammer packt von afrikanischen Hirten neben ihren verdursteten Herden.
Dass die Erde wärmer wird, und dass die Menschheit daran mitwirkt, ist inzwischen bei allen Wissenschaftlern unstrittig. Es sei denn, sie gehören zu den irrlichternden Stichwortgebern, die im Dunstkreis des Weißen Hauses das letzte Gefecht der Verbrennungsindustrie führen. Motto: Wir haben kein Problem mit Klima - wir haben Klimaanlage.
Manche flüchteten in die zweifelhafte Beschwichtigungsfloskel: Es wird zwar Verlierer und Gewinner geben - aber vielleicht gehören wir ja zu den Gewinnern. Kann aber auch sein, dass das neunmalkluge Milchmädchenrechnungen waren. Die Tagesschau zeigt Bilder von Kühen in Brandenburg, die in ein Gerstenfeld getrieben werden, weil die Ernte nicht mehr lohnt. Wir wissen in der Ruhrschäferei zurzeit nicht, wie es weitergeht und wo die Herde weiden kann, wenn es nicht bald regnet. So gut wie alle Flächen sind verbrannt. Unsere letzte Auffanglinie besteht zurzeit darin, die Herde per LKW ins Sauerland zu verfrachten. Ein logistisches Gruselstück für Schafe und Menschen.
Jeden Tag brütet die Sonne und die Nächte sind kaum kühler. Die Laubbäume verlieren ihre Blätter und der Boden ist hart und rissig. Wenn die Herde zieht, liegt eine Staubwolke über ihr, die mit ihr wandert.
Unser indigener Regentanz, unser heimisches Voodoo-Ritual ist der abendliche Wetterbericht mit Sven Plöger als Hohem Priester der Wettervorhersage. Wir hören ihm zu, als ob er mit meteorologischem Arkanwissen die Elemente oder wenigstens unsere Angst vor ihnen bannen könnte: Aber das einzige was er kann, ist das Wissen um unsere Ohnmacht zu vermehren.
Es ist wie ein Fluch, der überm Land liegt. Man bekommt eine düstere Ahnung davon, warum Menschen irgendwann angefangen haben, einem strafenden Göttervater Tiere und Kinder zu opfern, um das Unheil abzuwenden. Weil das Gefühl unerträglich war, machtlos, verloren und ausgeliefert zu sein auf dieser sich erwärmenden Nussschale, die durch ein gleichgültiges Universum treibt. Gewiss wird die Wanderung der Schäfer weitergehen. Seit Jahrtausenden finden sie Wege durch Steppen und Wüsten. Sie waren nach den Sammlern und Jägern die ersten, die mit ihren Herden die Menschen ernährten und sie werden es länger als andere tun. Aber nicht nur das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung geht inzwischen davon aus, dass das nach mühsamen Verhandlungen angestrebte Zwei-Grad-Ziel auf keinen Fall mehr zu halten ist und die Erde auf drei bis vier Grad Erwärmung zusteuert. Das heißt, dass es in vielen Ländern keine Landwirtschaft mehr geben wird. Es gibt niemanden, der sich wirklich vorstellen kann, was das heißt.
Manchmal werden alle Wünsche einfach: Möge es bald und reichlich regnen.
Grüße von Florian und dem Team der Ruhrschäferei.
Aktualisiert: 30.08.2018 14:18:54