26.10.2020
HIRTENBRIEF NR.19
IMMER WEITER. Einige Tage war die Herde auf derselben Fläche. Ein schöner Platz, begrenzt von einer Erlenreihe ,die einen Wassergraben säumt , abseits von Autoverkehr und Wohnbebauung . Einer der malerischen Flecken auf dem grünen Panterfell des Ruhrgebiets. Ein Platz zum Verweilen.
Aber als Florian morgens zum Pferch kommt, ruht die Herde nicht entspannt im Gras, sondern blökt ihm, als sie sein Auto sieht empört entgegen. Pawel Popolski hätte gesagt: Das wissen der Wenigsten. Dass Schafe nämlich tatsächlich Autos unterscheiden können. Die Aussage der Begrüssung ist eindeutig: „Wir sind nicht zum Vergnügen hier. Sondern zum Grasfressen. Und siehst du hier noch irgendwo Gras?“
Michael kommt zwar wieder mit seiner Geschichte von den Schafen in Kroatien, die auf so einer Wiese noch drei Tage satt geworden wären, aber keiner will sie hören. Die Schafe schon gar nicht.
Florian lässt die Hunde aus dem Auto, die mit dem üblichen Krawall die Anwesenden begrüssen. Biauka, die weisse Hündin, sucht erstmal das Weite und wartet , bis dieses ausser Rand und Band geratene Irrenquartett sich beruhigt hat . Dann schaltet der Schäfer das Weidezaungerät ab, steigt über das Netz , geht langsam durch die Herde und beginnt danach, die Netze abzubauen.
Das meiste ist Routine. Kurze Verständigung: Gibt es Tiere, die humpeln und rausgefangen werden müssen? Brauchen wir eine Karte oder kennen wir die Strecke auswendig? Gibt es neue Baustellen und Absperrungen auf dem Weg? Wo sind die Treffpunkte von Herde und Begleitfahrzeug, wenn der Wagen der Herde nicht folgen kann? Gibt es irgendwo Zaunöffnungen oder Leitplanken, wo einzelne Tiere von der Herde abgetrennt werden könnten, weil der Herdenmagnetismus sie gegen den einzig möglichen Rückweg in eine Sackgasse laufen lässt ? Die Sprechfunkgeräte werden verteilt , dann geht es los.
Jeder Aufbruch hat trotz aller Routine immer wieder auch eine Spur von Abenteuer und Ungewissheit. Wird alles glattgehen? Oder gibt es unerwartete Komplikationen? Wir haben zwar keine schmalen alpinen Felspfade entlang von furchterregenden Abgründen, aber z, B. am Kanal enge ungesicherte Passagen mit Steilwandufer. Im allgemeinen Gedränge ist dabei bisher zweimal ein Schaf ins Wasser gestürzt. Das ist an warmen Tagen für das Schaf zwar eine überraschende Abkühlung, aber für den Schäfer nicht wirklich lustig. Mit dem handfesten Einsatz von Anita, Mara und Florian samt Fangstock wurden die Tiere wieder aus dem Wasser gefischt. Halb im Wasser ein nasses 50 - Kilo - Schaf die Spundwand hochzuwuchten , ist ein echter Kraftakt.
Zum Glück gibt es trotz Klimawandel im Kanal bisher noch keine Krokodile. Wir hoffen, dass das vorläufig so bleibt . Vorsichtshalber suchen wir aber schon mal nach Umwegen.
BOTTROP: AUF DEM PROSPERHÜGEL Der Zug der Herde nach Bottrop war eine etwas aufwendigere Aktion, die von morgens acht bis Mitternacht dauerte, weil die Lämmer erst aus der Herde herausgefangen und im Stall separiert werden mussten. Dann mussten mehr als 200 leicht irritierte Mütter in einem Trail von 12 km Länge nach Bottrop geführt und anschliessend die Lämmer wieder zu ihren Müttern gebracht werden. Ein Wiedersehen , das mit ohrenbetäubendem Lärm verbunden war bis Mütter und Kinder sich wiedergefunden hatten.
Der gesonderte Transport der Lämmer per Anhänger ergab sich weniger deswegen, weil die Lämmer die Strecke nicht geschafft hätten. Nur wenige Wochen alte Lämmer laufen nicht nur rüstige Frührentner in Grund und Boden. Aber es erwies sich zunächst als schier unmöglich, einen Tross von 200 aufgeregten Lämmern plus 200 Müttern durch einen Ausgang, schmal wie ein Nadelör, zu einer geordneten marschfähigen Formation zu bewegen. Insbesondere dann, wenn es auch noch an schutzbedürftigen Vorgärten vorbeigeht. Die Lämmer wissen nicht ,was los ist und laufen sowohl kreuz als auch quer. Sie haben keinen Respekt vor den Hunden, die Hunde ihrerseits tun in einer Art laisser - faire - Modus den Lämmern nichts, die eine Art Welpenschutz haben .
Das Ergebnis ist Chaos in seiner schönsten Form. Deswegen galt diesmal : getrennt marschieren, um danach wieder gemeinsam zu grasen. Bzw., was die Lämmer angeht, Unsinn mit Bocksprüngen und Fangenspiel zu veranstalten.
Unterwegs gibt es immer wieder Gespräche am Wegrand. Eine alte Frau erzählt, während die Schafe an ihr vorbeilaufen und dabei mit der Nase ihre Einkaufstasche untersuchen, von ihrer Jugend in Slowenien, wo sie mit Hühnern und Schafen gross wurde.
Eine besonders schöne Begegnung: Eine Briefträgerin steht mit ihrem vollgepackten Postfahrrad auf dem Bürgersteig und bricht in Begeisterungsrufe aus:“ In 32 Jahren habe ich das noch nicht gesehen! Das ist Bottrop! Hier gibt es alles! Auch Schafe!“
Was will man mehr von einer Stadt ?
Nicht wenige der Schafpaten haben in den letzten Wochen einen Besuch bei der Herde gemacht um Lämmer zu besuchen oder als Patenlämmer auszusuchen. Die Lämmer sind in diesem Jahr abwechslungsreich gesprenkelt und und ganz offensichtlich die Kinder ihrer schwarzköpfigen Väter . Die Herde stand zusammen mit 200 in dieser Lammzeit geborenen Lämmern zum ersten Mal auf dem Prosperhügel in Bottrop, wo sie bei der Ankunft von Gross und Klein, Kindergärten, Schulklassen und Anwohnern mit einer geradezu festlichen Aufstellung unter Beteiligung von WDR und örtlicher Presse begrüsst wurden.
Bottrop, das sich unter dem Titel “ Innovation City“ als Klimaschutzmodellstadt versteht, hat vor kurzem, wie eine Reihe von anderen Städten, den Klimanotstand erklärt. Damit soll unterstrichen werden, dass in Zukunft die Entscheidungen von Politik und Verwaltung in besonderer Weise auf ihre klimatischen Auswirkungen überprüft werden sollen.
Eine wandernde Schafherde, die die Artenvielfalt auf den beweideten Flächen schützt und deren CO2 Aufnahmekapazität steigert, das Wasser nicht vergiftet , aus Tieren besteht, die noch Sonne, Wind und Regen kennen und nicht mit Futter ernährt werden, für das der Regenwald abgeholzt wurde sind eine anschauliche Illustrierung eines solchen neuen städtischen Leitbilds.
Was wir besonders toll fanden: Um den Prosperhügel herum liegt ein noch junger Stadtteil ,mit unterschiedlichen Bewohnergruppen - jung und alt, Menschen in Mietwohnungen und Eigenheimen, Anwohner die in Deutschland oder in anderen Ländern geboren wurden.
Am ersten Morgen gab es für den Schäfer ein echtes Problem, weil die Wasserpumpe, obgleich noch neu, ihren Geist aufgegeben hatte, die Tiere aber dringend Wasser brauchten. Bis eine Ersatzpumpe besorgt war, schleppten Klein und Gross in einer schweisstreibenden gemeinsamen Nothilfeaktion in Kannen und Kanistern Wasser in die bereitstehenden Bottiche , um den ersten Durst der Schafe zu löschen. Und in den vier Wochen danach war die Schafherde täglicher Treffpunkt und Gesprächsgegenstand. Kinder und Erwachsene lernten, wie ein Schaf sich anfühlt, freuten sich über herumtollende Lämmer und lernten, dass die Hütehunde zwar äusserst temperamentvoll, aber nicht gefährlich waren. Man passte auf die Herde auf und ärgerte sich gemeinsam über Jugendliche, die als Knallchargen mit besonderem Förderungsbedarf den Zaun aufgemacht hatten . Kurz: Man traf sich und das Quartier hatte ein gemeinsames Erlebnis. Gerne werden wir dahin zurückkommen.
Dies nebenbei auch dann, wenn sich unter dem Gesichtpunkt des gebotenen bürokratiekonformen Verhaltens für einen Wanderschäfer die Metropole Ruhr hier und da noch als Freilichtmuseum der Kirchturmsperspektive vor Einführung der deutschen Zollunion darstellt, wo es hinter jeder dritten Trauerweide eine Landesgrenze gab. Da geht noch mehr.
ALLE REDEN VOM WETTER. WIR AUCH: In den letzten Wochen ist die Herde mehrfach mit den Lämmern weiter gezogen. Die Hitze führt dazu, dass das öfter als früher notwendig wird. Die Lämmer haben inzwischen gelernt, nicht mehr kreuz und quer und und manchmal auch zurück zu rennen, sondern in der Herde zu bleiben. Florian hat in Bottrop beim Umkoppeln mit ihnen geübt. In Linie antreten und der Grösse nach aufstellen klappt zwar immer noch nicht, aber der Herde zu folgen haben sie verstanden. Jetzt geht es zu weiteren Flächen .
Das Wetter macht uns in diesem Jahr erneut Sorgen. Die Dürre ist bisher nicht so ausgeprägt wie im vorigen Jahr, aber es regnet weiterhin nicht genug und die Wiesen haben sich vom letzten Jahr noch nicht erholt. Ab und zu gibt es ein wenig Regen, den wir dankbar begrüssen Und hoffen, dass der Sommer noch nasser wird. Aber stattdessen kommt ein Hoch mit 41 Grad aus der Sahara und man gewöhnt sich an die Meldungen : Die höchsten Werte seit Beginn der Aufzeichnungen.
In der noch nicht sehr weit zurückliegenden Vorzeit der sechziger Jahre , als das Wünschen aber auch schon nicht mehr geholfen hat, gab es ein berühmtes Plakat der Bundesbahn : ALLE REDEN VOM WETTER: WIR NICHT. Dieses Plakat wurde ironisch aufgenommen vom SDS, dem damaligen Sprachrohr der Studentenbewegung.
Sollte bezogen auf die Bahn heissen: Wetter ist für uns kein Thema. Wir bringen Sie zuverlässig, egal ob Sommer oder Winter, ans Ziel. Bezogen auf den SDS war die Aussage: Wir reden nicht über unwichtige, systemunerhebliche Nebensächlichkeiten wie das Wetter, sondern über Wichtiges, nämlich Politik, die , wie jeder weiss , mit dem Wetter nichts zu tun hat.
Heute sagt die Bundesbahn: Bei über dreissig Grad geht die Klimaanlage nicht mehr, von der der einfache Fahrgast geglaubt hatte, genau für diese Temperaturen sei die Klimaanlage da. Insbesondere seit sich die Fenster nicht mehr öffnen lassen.
Und die Politik, nicht nur in Deutschland, stellt in unterschiedlich steil verlaufenden Lernkurven fest, dass der Klimawandel , den man jahrzehntelang als lästige Erfindung irgendwelcher abseitigen Öko - Kassandras abgetan hatte, sie global und national vor sich hertreibt.
So ändern sich die Zeiten. Der berühmte Geheimrat Goethe, der nicht nur den Faust , sondern auch den gruseligen Erlkönig geschrieben hat, hatte schon früh die kühle und nicht von besonderem Mitgefühl getragene Erkenntnis :“ Die Natur kennt keine Strafen, nur Folgen. “ Welche das für uns sind, und wie wir damit umgehen können, versuchen wir in Stadt, Land und Landwirtschaft gerade zu verstehen.
MENSCH UND TIER IM REVIER. WELCHE STADT WOLLEN WIR ODER: DÜRFEN SCHAFE BLÖKEN? Im Ruhrmuseum auf Zeche Zollverein wurde kürzlich die Ausstellung „Mensch und Tier im Revier“ gezeigt, die sich auch mit Aspekten der Gleichzeitigkeit von industriellem Ballungsraum und Tierhaltung befasste.
Das Ruhrgebiet war nie nur eine von einer totalitären Megamaschine aus Kohleförderung, Kokereien und Hochöfen besetzte naturfreie Technoshpäre, in der es ausser russgeschwärzten Industriearbeitern kein weiteres Leben gab . Selbst für die Kohleförderung wurden bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts noch Grubenpferde gebraucht.
Es gab lange wenig spekulativ verdichteten Wohnungsbau wie im Berliner Wedding mit seinen lichtlosen Hinterhöfen , sondern eher verstreute und z.T an das Gartenstadtkonzept angelehnte im Montanbesitz befindliche Einzelbestände, weil die Stahl - und Zechenbarone keine Lust hatten, ihre Gewinne über hohe Mieten der Arbeiter mit Grundstücksspekulanten zu teilen.
Deswegen gab es die aus den Herkunftsländern mitgebrachte Subsistenzwirtschaft in den Zechensiedlungen mit Gemüseanbau, Schweinen und Ziegen - eine Möglichkeit, mit der die Arbeiter oft von den Werbekolonnen der Zechengesellschaften angelockt worden waren.
Noch in den frühen sechziger Jahren wurden in Duisburg - Neumühl Schweine gehalten, die dann auch schon mal nach einem misslungenen Schlachtversuch auf der Lehrerstrasse herumliefen. Es gab Bauernhöfe zwischen den Zechen, auch wenn die oft dem Bergbau gehörten. Und es gab immer, wenn auch zuletzt weniger, die Schäfer, die mit ihren Herden am Rhein entlang, aber auch durch die Wohnviertel wanderten.
Erst spät gab es die bei genauerer Betrachtung mehr aus ideologischen als aus ökonomischen Gründen erstellten Plattenbauten, deren Bewohner erst nach dem Umzug feststellten , dass ihre neuen Wohnungen die aufwendigste Methode waren, in den Genuss einer Zentralheizung zu kommen, weil sie verbunden war mit dem Verlust von Mopedschuppen, Kaninchenstall, eigenem Eingang, Brieftauben und Gemüsegarten.
Dafür hatten sie jetzt einen Aufzug, den sie vorher nicht gebraucht hatten und der Jahrzehnte später, wenn sie sich schon mit Hilfe eines Rollators fortbewegen würden, nicht funktionieren würde, weil die Häuser inzwischen einem Geldsack in Singapur gehörten, der keine Adresse hatte und die Instandhaltungskosten zusammenstrich.
Drumherum aber blieb die abwechslungsreiche Landschaft des Reviers. Wenn wir mit der Herde durch die Gemeinden ziehen, erleben wir so gut wie immer erfreute, begeisterte Reaktionen, Menschen äussern Erinnerungen an Jugend und Heimat . Typische Handbewegung: Das Handy zücken und ein Foto für Freunde und Familie machen. „Das ist doch toll! Das glauben die sonst nicht“. Michael , der für zweifelhafte Vorschläge bekannt ist , meint: Mit einer Spardose am Leitschaf und einem Euro pro Foto wäre der Betrieb saniert.
Als Ausnahme von der erfreulichen Regel gibt es, wenn auch selten, hin und wieder auch mal andere Reaktionen , was wir hier der Vollständigkeit halber nicht verschweigen wollen.
Anlass: Eine zwei Hektar grosse Wiese, die seit Jahren im Biotopverbund der Kommune zu einer artenreichen Wiese entwickelt werden soll und deswegen von einer Schafherde beweidet wird. Am Rande der Fläche hat sich eine hübsche Eigenheimsiedlung entwickelt. Nette Anwohner, die sich mehrheitlich freuen, wenn die Schafe kommen. Obwohl es , was uns leid tut, schon einmal vorgekommen ist, dass in einem vorübergehenden Herdenwirrwar zwei Vorgärten einige Blätter lassen mussten.
Seit kurzem gibt es nun hier eine Anwohnerin, die der Auffassung ist, die Herde stelle eine unerträgliche Lärmbelästigung dar. Dazu muss man folgendes wissen:
An wenigstens dreihundertfünfzig Tagen des Jahres lebt die Beschwerdeführerin neben einer idyllisch anzusehenden, aber ganz und gar wortlosen , geradezu unfreundlich schweigsamen Grünfläche. Auf der Fläche herrscht in der Regel sprichwörtliche Grabesstille. Möglicherweise ist es, wenn die Wiese im Bodennebel spätherbstlicher Dämmerung verschwimmt, manchmal sogar ein bisschen unheimlich - das gefürchtete Schweigen der Lämmer .
Dreimal im Jahr kommt der Schäfer für zwei bis drei Tage mit der Herde auf die Wiese. Andernfalls würde besagte Anwohnerin in ein paar Jahren quasi im Wald wohnen. Das mögen ja auch nicht alle. Die Schafe laufen herum, fressen, schlafen, säugen , trinken. Und manchmal blöken sie auch. Das tun Schafe, wie Bibel und Koran gemeinsam bezeugen , schon seit Abrahams Zeiten .
Nun geschieht folgendes: Beim Schäfer erscheint das Veterinäramt. Es habe eine Beschwerde gegeben, weil die Schafe blöken würden. Das Veterinäramt geht durch die Herde, sieht sich die Schafe an, prüft, ob Futter auf der Wiese ist, ob dieTiere genug Wasser haben und sagt dann: Es ist alles in Ordnung. Das Blöken der Schafe sei als arteigenes Verhalten amtlicherseits nicht zu beanstanden.
Darauf erhält der Schäfer per Messenger - Dienst folgende Nachricht : Das gehe ja wohl überhaupt nicht. Ausser dem Veterinäramt werde nunmehr auch das Bauamt, das Ordnungsamt und ausserdem auch noch das Landesamt für Natur , Umwelt und Verbraucherschutz eingeschaltet. Die sind neuerdings zwar auch für Wölfe zuständig , aber speziell für das Blöken von Schafen eher weniger . Blöken sei, so die Anwohnerin , da gebe es nun mal nichts, im Wohngebiet nicht statthaft. Florian, der genug anderes zu tun hat, beschliesst der Dinge zu harren, die da kommen oder auch nicht.
Man könnte nun sagen, dass es Personen mit , sagen wir mal speziellen charakterlichen Ausprägungen, schon immer und überall gegeben hat und dass das nichts bedeutet.
Es könnte aber auch ein Anzeichen dafür sein, dass angesichts des Trends zum plastikunterfütterten Vorgarten mit unkrautsicherer Schotterauflage sowie Bürgerinitiativen gegen Blätterfall im Herbst in ökologisch bildungsfernen Schichten , was sich mitnichten über den Schulabschluss definiert , der Informationsbedarf über die Folgen des Klimawandels und das künftige Verhältnis von Stadt, Land und Natur , um das höflich zu formulieren, eine grössere Herausforderung darstellt, als das die Lage eigentlich erlaubt.
Das Leitbild der modernen Stadt, die ordentliche Funktionstrennung von Arbeiten, Wohnen, Einkaufen, Erholung, Verkehr, Gewerbe und Industrie ist im Ruhrgebiet nie wirklich realisiert worden. Stattdessen gab es in der „Stadt der hundert Dörfer“ ein Leopardenfell von Zechen, Siedlungen mit Garten und Stall, sozialem Wohnungsbau aus den Nachkriegsjahren, darin und dazu Wohnquartiere mit Bewohnern aus aller Herren Länder , durchkreuzt von Bahndämmen, wilden Spielplätzen für die Schmuddelkinder der üblichen Verdächtigen, Eisenbahnbrücken, Verkehrstrassen und Kanalanlagen . Ausserdem überschaubare Einfamlienhaussiedlungen mehr oder weniger im Umkreis von Industriegebieten mit umweltschädlichen Emissionen. Dazu Brachflächen, die aber an Pflanzen und Tieren artenreicher waren, als ein überdüngtes Maisfeld im Münsterland. Meine Oma hätte gesagt: Ein schönes Durcheinander.
Es könnte nun sein, dass diese durchmischte Stadt, die eine Stadt der Zwischenräume und der Lücken ist , für einen klimagerechten Umbau bessere Voraussetzungen bietet, als die grossflächige Ödnis ehemals leitbildkonformer Raumordnung. Das wäre eine Chance.
Man kann historische Möglichkeiten allerdings auch ruinieren. Der aktuelle Entwurf des Regionalplans Ruhr, den der RVR vorgelegt hat, ist offenbar bereit, bisherige Standards zu Biotopverbund und Flächenschutz in einer Situation zu beschädigen, in der sie dringender gebraucht werden denn je.
Es fällt dem arglosen Betrachter zunehmend schwer zu glauben, dass es noch immer unter ökologischer Legasthenie leidende Entscheidungsträger gibt , die, mit welchen Motiven auch immer , bereit sind , eine aus Gründen des Gemeinwohls zunehmend gebotene stadtökologisch vorausschauende Schadensbegrenzung hinter die Bedienung ebenso kurzfristiger wie kurzsichtiger Partialinteressen zurück zu stellen.
Um eine alte Bauernregel meines westfälischen Grossvaters zu zitieren: Erst wenn die letzte Fläche versiegelt und die letzte Frischluftschneise zugebaut ist, werdet ihr merken, dass auf betonierten Logistikzentren weder Grass noch Wald noch niederrheinische Qualitätskartoffeln wachsen. Und dass ihr dann beim nächsten Saharahoch kühlenden Wind und den erfrischenden Schatten wohnortnaher Parkanlagen lange suchen könnt.
Wer will das schon?
Wie auch immer. Als Anmerkung für unsere Anwohnerin: Die klimagerechte Stadt wird einen umfangreichen Katalog von Einzelmassnahmen umfassen müssen. Zum Mittel der Wahl werden zweifellos Wiesenbiotope als Trittsteine der Artenvielfalt und als kühlende Elemente des Mikroklimas gehören. Ihre Beweidung durch Schafe wird die Artenviefalt von Flora und Fauna verbessern, den Bewuchs mit Gräsern und Kräutern verdichten und den Effekt der Flächen als CO2 - Senke verstärken.
Aber abgesehen von ihrer Funktion als ökologischer Aktivposten kann man eine Schafherde auch einfach nur schön finden.
Meinen
FLORIAN UND DAS TEAM DER RUHRSCHÄFEREI.
Aktualisiert: 26.10.2020 18:06:08