Hirtenbrief # 21

HIRTENBRIEF NR. 21

RUHRSCHÄFEREI UND WÖLFE.

POLARISIERUNG
Die Diskussion über Wölfe wird von der Pro - wie der Kontraseite mit hoher Emotionalität geführt. Offenbar wird der Wolf einerseits zum Auslöser von eher idyllischen Vorstellungen einer Natur, deren ausbalancierte Harmonie sich so in der Wirklichkeit nicht finden lässt, andrerseits von tiefliegenden Ängsten vor dem Fremden oder Fremdgewordenen , die Bestandteil einer kulturellen Tradition sind, in der Natur der Feind ist, den es zu bekämpfen gilt.

Diese Ängste, die durchaus nicht alle unberechtigt sind, werden z. T. politisch instrumentalisiert mit einer alarmistischen Bedrohungsdramaturgie mit nächtlichen Wolfswachen am Feuer oder durch AfD - Abgeordnete die im Rahmen der Bundestagsdebatte über die Weidetierprämie behaupten: "Das deutsche Volk wird zur Zeit mit zwei Grossexperimenten überzogen. Das eine sind die Flüchtlinge, das andere sind die Wölfe."

Das delegitimiert nicht alle Bedenken gegen die Rückkehr der Wölfe , aber man sollte wissen, wann und von wem man bei der Inszenierung von Angstpolitik benutzt wird.

Wir schliessen uns der Auffassung des Landesschafzuchtverbandes NRW an, dass es bei der Diskussion nicht hilfreich ist, wissenschaftliche Ergebnisse und Laboruntersuchungen europaweit anerkannter Institute unter generellen Falsch - und Fälschungsverdacht zu stellen . Das im Internet für jeden transparente Monitoring des LANUV ist eine sinnvollere Gesprächsgrundlage als Gerüchte, die als irrlichternde fake news in den sozialen Medien einer heillos überbordenden Phantasie Tür und Tor öffnen.

FACING REALITY

Die Schäfer in Deutschland haben zahlreiche Probleme , die dazu geführt haben, dass viele ihren Beruf an den Nagel gehängt haben. Der Wolf ist zweifellos ein Problem mehr. Unsere Begeisterung über seine Wiederkehr hält sich deswegen auch in Grenzen. Aber man soll nicht so tun, als ob der Wolf das Hauptproblem der Schäfer ist. Das ist er leider nicht, sondern das besteht in einer Agrarpolitik, die mit viel Geld und einer an Qualität desinteressierten Tonnenideologie die falschen Schwerpunkte setzt ,die Falschen fördert und mit dem falschen Versprechen „Wachsen oder weichen“ weiterhin Betriebe in den Untergang treibt.

Die andauernde Grundsatzdiskussion über den Wolf halten wir inzwischen für müssig. Vielleicht hätte man sie vor 25 Jahren noch ergebnisoffen führen können , aber jetzt ist der Wolf da und er wird bleiben und das darüber andauernde Lamento ist so hilfreich wie die Klage über schlechtes Wetter. Die Zeit und Energie für diese Diskussion kann man sich insofern sparen und sollte sinnvoller der pragmatischen Frage gewidmet werden, wie praktische Schritte zur Koexistenz von Wolf und Weidetierhaltung zu organisieren sind.

Zwar wurde mit der jüngst erfolgten Änderung des Naturschutzgesetzes der Versuch gemacht, unter dem aktuellen Vorwand Wolf den in Deutschland erreichten Stand des Artenschutzes insgesamt zurückzudrehen und nicht nur den Abschuss von Biber, Fischotter, Graureiher, Kormoran oder Kranich , sondern bei Gefährdung wirtschaftlicher Interessen prinzipiell aller geschützten Arten zu erleichtern. Dennoch wird der Wolf weiterhin unter starkem gesetzlichen Schutz stehen.

Wer dagegen auf kriminelle Methoden setzt - erschiessen, Tellereisen ,vergiften - verbunden mit der launigen Wildererparole „Schiessen - Schaufeln - Schweigen“ - wird die Ausbreitung des Wolfes in Deutschland nicht verhindern. Er muss sich aber auf eine auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Diskussion sicher nicht toleranter werdende Strafjustiz einstellen. Und die in Frankreich von radikalen Wolfsgegnern geforderte Bewaffnung der Schäfer wird es in Deutschland sicher nicht geben.

PARADIGMENWECHSEL.
Die Wiederkehr des Wolfes ist Ausdruck eines weiter andauernden grundlegenden Wandels in Politik und Gesellschaft im Umgang mit der Natur. Es geht darum, zur Erhaltung der gefährdeten Biodiversität umzusteuern vom Krieg gegen die Natur, dessen Kollateralschäden zunehmend auch den Menschen treffen, zu einer nachhaltigen Koexistenz der Lebensformen. Dieser Kurswechsel, der möglicherweise zu langsam erfolgt, ist unumkehrbar.

Moderne Konzepte von Naturschutz gehen davon aus, dass insbesondere die Wiederkehr grosser Arten von Pflanzen - und Fleischfressern nicht nur additiv einem bestehenden Ökosystem eine weitere Art hinzufügt, sondern dass diese eine gestaltende und stabilisierende Rückkoppelung mit dem Gesamtsystem entwickeln. Die Rückkehr der Wölfe in den Yellowstone - Nationalpark bewirkte u.a. eine Standortveränderung der Hirschpopulation und eine Vegetationsaufwertung entlang der Wasserläufe. Beim Schutz des natürlichen Waldaufwuchses vor selektivem Fressverhalten des Rehwildes und bei der Begrenzung des Wildschweinbestandes auf dem Hintergrund von beträchtlichen Flurschäden und Afrikanischer Schweinepest ist der Wolf nicht Problem, sondern Bündnispartner.

Von diesem Paradigmenwechsel, der keineswegs abgeschlossen ist, haben auch die Schäfer profitiert. Ein wachsender, wenn auch gemessen an ihrem Beitrag zur Erhaltung der natürlichen Grundlagen noch zu geringer Teil ihres Einkommens stammt im Rahmen des Vertragsnaturschutzes aus Massnahmen und Projekten zu Landschaftspflege und Artenschutz. Den Wolf von diesem auf Stabiisierung und Aufwertung von Biotopen und Ökosystemen orientierten Artenschutz auszunehmen ist widersinnig und macht die Beteiligung an diesen Projekten sowie die Projekte selbst unglaubwürdig. Naturschutzverbände , Umweltbehörden, ökologisch orientierte Jagdverbände und Schäfer sind deswegen keine Gegner, sondern prinzipiell Kooperationspartner, auch wenn dabei immer wieder Konflikte auszuhandeln sein werden.

WEIDETIERHALTUNG
Beim Zielkonflikt von Artenschutz und ökologisch sowie unter Tierwohlgesichtspunkten unverzichtbarer Weidetierhaltung müssen Wege gefunden werden, beide miteinander zu vereinbaren. Die Bundesregierung gibt vor, die Weidetierhaltung unterstützen zu wollen. Eine dafür tatsächlich hilfreiche Weidetierprämie lehnt sie allerdings als einzige in Europa als marktverzerrend ab.

Die Einrichtung eines Herdenschutzzentrums, in dem Konzepte, Kompetenzen und Kooperationsstrukturen entwickelt und best practice Besispiele gebündelt und kommuniziert werden kann sie sich nach jahrelanger Ablehnung erst neuerdings vorstellen.

Wir erwarten , dass, wenn die Gesellschaft die Rückkehr des Wolfes will, die dadurch entstehenden Kosten und Probleme auch gesellschaftlich getragen und nicht der Einfachheit halber auf die Weidetierhalter abgeschoben werden. Wir brauchen
einen an der Realität der Schäfer und anderer Weidetierhalter ausgerichteten unbürokratischen Schadensausgleich, der den finanziellen Umfang und Arbeitsaufwand tatsächlich abbildet. Das bisher dafür in NRW entwickelte Regelwerk bemüht sich darum, ist aber in einer Reihe von Punkten noch unzureichend .

So ist bei Wanderschäfereien die Bestimmung wirklichkeitsfremd, dass die Anschaffung von Herdenschutzhunden , deren Unterhalt ohnehin von den Schäfern finanziert werden muss, was Kosten für Futter, Transport - und Aufenthaltshänger sowie Tierarztkosten von wenigstens 1000,- Euro pro Tier und Jahr bedeutet bisher nur gefördert wird, wenn der überwiegende Teil der Beweidungsfläche im behördlich deklarierten Wolfsgebiet liegt. Der Schäfer müsste dann entweder in existenzgefährdendem Ausmass auf Flächen ausserhalb des deklarierten Gebietes verzichten oder auf die Flächen, in denen die Herde ohne Hunde ungeschützt ist. Wir unterstützen dagegen die Forderung des Schafzuchtverbands NRW das gesamte Bundesland zum Wolfsgebiet zu erklären, da inzwischen praktisch überall mit durchziehenden Wölfen gerechnet werden muss und im Schadensfall ohnehin mit einem DNA - Nachweis festgestellt werden muss , dass der Verursacher ein Wolf war.

Neben dem obligatorischen Einsatz adäquater Zäune scheint der Einsatz von Herdenschutzhunden nach allen Erfahrungen die wirksamste Voraussetzung für die Koexistenz von Mensch und Wolf zu sein - nicht nur in Ländern, in denen der Wolf nie ausgerottet war, sondern inzwischen auch in Deutschland in Gebieten, in denen der Wolf inzwischen seit zwei Jahrzehnten wieder heimisch ist. Der Einsatz von Herdenschutzhunden hat in aller Regel geholfen, die Lage zu beruhigen und einen modus vivendi zu finden, mit dem die Beteiligten leben können.

Dass für eine problemangemessene Förderung der Weidetierhalter keine Mittel vorhanden seien, wird angesichts der finanziellen Dimensionen der Agrarpolitik niemand ernsthaft behaupten .Was fehlt ist nicht Geld, sondern weiterhin in Brüssel und Berlin die Lobby, um das ökonomisch sehr wohl Mögliche in politische Entscheidungen zugunsten der Schäfer umzusetzen. Die Subventionierung des Exports von Schweinefleisch nach China hatte da bisher allemal das grössere politische Gewicht.

Verbesserungen sind auch noch möglich beim bürokratischen Procedere der Beantragung von Kosten für Prävention und Schäden durch Wolfsrisse. Die Verfahren sollten mehr als bisher akzeptanzfördernd sein und nicht den Eindruck erwecken, nicht von dieser Welt zu sein - jedenfalls nicht von einer Welt in der es Schafe gibt und Wölfe und dazu eine immer wieder grenzwertige Diskussion in der Öffentlichkeit , bei der es im Sinne des Wolfsschutzgesetzes darauf ankommt, dafür die Akzeptanz der Weidetierhalter zu erreichen.

PROBLEMWOLF GLORIA?
Für sogenannte Problemwölfe gab es auch schon vor Änderung des Naturschutzgesetzes zur Handhabung besonderer Konfliktlagen akzeptable, ausreichende und rechtssichere Regelungen. Es musste nach den vorliegenden Erfahrungen auch damit gerechnet werden, dass Menschen, die die Rückkehr der Wölfe grundsätzlich ablehnten, dazu neigten, in jedem Wolf einen Problemwolf zu sehen. Die zuständigen Behörden waren deswegen gut beraten, ein fachlich solide gegründetes und rechtlich wasserdichtes Regelwerk zu formulieren, das streng nach Recht und Gesetz angewendet wurde, statt nach dem gerade im jeweiligen Landkreis vermuteten aktuellen Pegelstand des Volkszorns. Soweit bekannt ,ist das bisher im grossen und ganzen auch ohne populistischen Sonderrabatt umgesetzt worden, auch deswegen weil die Erteilung der Abschussgenehmigung in der Hand staatlicher Instanzen blieb. Ein heftig diskutierter Problemfall im Bereich des Wolfsgebiets Schermbeck und damit im Bewegungsbereich der Ruhrschäferei ist die sogenannte Wölfin Gloria, die seit zwei Jahren durch Funk, Fernsehen und vor allem Soziale Medien geistert. Seit kurzem ist amtlich, dass sie einen ca. halbjährigen Welpen hat. Die Zahlen über die von ihr verursachten Weidetierrisse schwanken laut WDR je nach Quelle zwischen 22 und 67. Ein erster Antrag auf Abschuss wurde abgelehnt, weil mögliche Massnahmen zum Herdenschutz nicht ausgeschöpft worden seien und weil das Gebiet eine hohe Eignung als Lebensraum für ein Rudel aufweise - ein Abschuss also lediglich eine erneute Besetzung des Territoriums erwarten lasse. Inzwischen fordert der neue CDU - Landrat den Abschuss gleich beider Wölfe.

Die besondere Eigenart von Gloria resultiert möglicherweise daraus, dass ihr bei ihrer Ankunft die Nahrungsbeschaffung durch zur Wolfsabwehr nur bedingt geeignete Zäune erleichtert wurde , die keine nachhaltig negative Erinnerung der Wölfin beim Kontakt zu Schafen aufbauten. Wölfe müssen die Erfahrung machen, dass Schafe im Unterschied zu Rehen Nahrung ist, von der man besser sowohl die Pfoten als auch die Zähne lässt, weil sonst körperliches Ungemach droht .

Gloria traf aber auf unvorbereitete Schafhalter, weil kein Mensch , auch wir nicht, damit gerechnet hatte, dass die zunächst im weit entfernten Sachsen gemeldeten Wölfe so schnell und überhaupt den Rand des Ruhrgebiets erreichen würden.

Der Grund für diese eigentlich erwartbare Ausbreitungsdynamik liegt darin, dass entgegen der von einigen wohl gehegten Befürchtung, man würde demnächst den Wald vor lauter Wölfen nicht mehr sehen, ökologisch nur eine begrenzte Zahl von Wölfen pro Territorium möglich ist und die Überzähligen deswegen gezwungen sind weiter zu wandern.

Bei zwei Übergriffen hat Gloria die Herde der Ruhrschäferei insgesamt zehn Schafe gekostet, die entweder direkt getötet wurden oder Verletzungen nicht überlebten

Zum Gesamtschadensbild gehört, dass in der Summe der letzten Jahre fünf unserer Schafe durch wildernde Hunde getötet wurden. Im letzten Jahr gab es - die schlimmsten Dinge entstehen manchmal aus den besten Absichten - 16 tote Schafe ,weil neben einer Einfamilienhaussiedlung ebenso arg - wie ahnungslose Kinder den regelmässig reichlich anfallenden Heckenschnitt von Kirschlorbeer an die Herde verfüttert hatten - ein in allen Pflanzenteilen giftiger invasiver Strauch, der von jedem Gartencenter als angesagtes ökologisches Desaster an die biologisch bildungsfernen Gartenbesitzer der Republik verteilt wird. Schlimm für die Kinder, aber noch schlimmer für die Schafe.

Seit Anfang des Jahres lebt die Herde mit drei Herdenschutzhunden zusammen . Seit Monaten steht sie mit 420 Tieren im Wolfsgebiet in der dunkelsten Zeit des Jahres, in der die Nächte lang und die Tage kurz sind. Während die Presse immer wieder von gerissenen Schafen in der Umgebung berichtet, bleibt es bei unserer Herde bisher ruhig. Wir wissen, dass das keine Garantie für ewigen Frieden ist, aber offenbar sind die grossen weissen Wächter nicht ohne Grund seit Jahrtausenden eine Strategie der Hirten, die wieder neu zu erlernen hilfreich sein kann.

KEINE PANIK
Wir wissen, dass nicht alle Schäfer diese Position teilen. Man sollte allerdings Lautstärke weder mit Richtigkeit noch mit Mehrheit verwechseln. Wir bestreiten, dass die meisten Schäfer sich auf dem fachlich und politisch dürftigen Niveau einer Panikmache bewegen ,wie sie sich auf manchen facebook - Seiten immer wieder darstellt. Dies meinen wir auch deswegen, weil nicht wenige lautstarke Wolfsgegner überhaupt keine Weidetierhalter sind, sondern mit den unterstellten Sorgen anderer Leute herumfuchteln.

Viele Schäfer haben eine Menge Schwierigkeiten am Hals - und das keineswegs nur wegen des Wolfs. Sie suchen vernünftige Wege und Möglichkeiten, mit der Lage zurechtzukommen. Dabei brauchen sie Unterstützung, Beratung und Geld. Vom Jammerchor der Wolfsdramatiker haben sie dabei nichts zu erwarten.

Manchmal hilft ein Blick über den Tellerrand. Hirten, Schafe und Wölfe sind seit vermutlich 10 000 Jahren in Freud und Leid verbundene Zeitgenossen . Zu allen Zeiten hat es Formen der Koexistenz gegeben, auch wenn die, wie schon der Bibel zu entnehmen ist , weiss Gott nicht immer konfliktfrei waren.

Heute werden in Indien bettelarme Bauern auch von uns Europäern aufgefordert, Tiger zu schützen und mit den letzten Waldelefanten zurecht zu kommen, die mangels Wald ihre Felder zertrampeln. In Namibia wird von den Hirten erwartet, dass sie sich im Weidegebiet ihrer Herden mit den Restbeständen von freilaufenden Geparden arrangieren. In Spanien, Italien, auf dem Balkan und in Osteuropa waren die Wölfe nie ausgerottet. In Slowenien laufen einige hundert, in Rumänien unvorstellbare fünftausend - nicht etwa Wölfe, sondern Bären im Land herum. Gewiss nicht ohne Konflikte, aber seit eh und jeh in Koexistenz mit den Schäfern.

Und in Deutschland, keineswegs das ärmste dieser Länder, das den allergrössten Teil seiner Nutztiere hinter Betonmauern verbirgt, soll das nicht gehen?

Wölfe in Deutschland - das geht. Vorausgesetzt man will das.

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Aktualisiert: 16.02.2021 08:39:00